Die Liebe zur Freiheit

Gastbeitrag von Wolfram Weimer zum 150. Geburtstag des Hermannsdenkmals

Am 16. August feiert das Hermannsdenkmal seinen 150. Geburtstag. Mehr als eine halbe Million Besucher pilgern jährlich zum berühmten Monument im Teutoburger Wald. Doch welches Vermächtnis hinterließ uns der Cheruskerfürst?

Luftbild des Hermannsdenkmals im Teutoburger Wald vor blauem Himmel.

Vor 150 Jahren wurde das Hermannsdenkmal feierlich eröffnet.

Quelle: Imago / Hans Blossey

Wagemut, Tapferkeit, unbändiger Freiheitswille: Das ist der Stoff, aus dem die großen Heldenerzählungen gemacht sind. Hermann der Cherusker ist exemplarisch dafür. Im Jahr 9 n. Chr. gelang dem legendären Feldherrn das schier Unmögliche: Obwohl die Germanen deutlich in der Unterzahl waren, wurden gleich drei von Quinctilius Varus befehligte römische Legionen vernichtend geschlagen. 

Ein Mythos war geboren, eine Variante des biblischen David-und-Goliath-Duells: Selbst aussichtslose Kämpfe können gewonnen werden, wenn man den Unterdrückern mit Mut und Entschlossenheit entgegentritt.  

Als im 15. Jahrhundert zwei verschollen geglaubte Tacitus-Texte wiederentdeckt wurden, verbreitete sich rasch dessen Etikettierung Hermanns als „Befreier Germaniens“. Daraufhin avancierte der Cheruskerfürst zum Leitbild all jener, die gegen Fremdbestimmung und Willkür autoritärer Herrscher aufbegehrten. Humanisten wie Philipp Melanchthon und Ulrich van Hutten priesen ihn als frühen Vorkämpfer der deutschen Freiheit und Begründer einer nationalen Identität. Im reformatorischen Milieu feierte man Hermann als Widerstandskämpfer gegen Rom – und erhob ihn zur Symbolfigur im Kampf gegen die religiösen und weltlichen Machtansprüche des Papstes. So waren es auch Reformatoren, die den ursprünglichen Namen Arminius in Hermann, „Mann des Heeres“ eindeutschten. In seinen berühmten Tischreden sprach Luther dezidiert von „Hermann“ und beteuerte, er habe den rebellischen Feldherrn „von Herzen lieb“. 

Unzählige Künstler, Dichter und Denker ließen sich seither vom Mythos des siegreichen Heroen inspirieren. Dramen und Opern entstanden, Romane und Lieder, Gemälde und Gedichte. Komponisten wie Händel und Scarlatti vertonten den Stoff in ihren Opern, Schriftsteller brachten den Cherusker als unerschrockenen Helden auf die Bühne. Mit seiner Tragödie „Hermann“ verfasste Johann Elias Schlegel eine vielbeachtete Hommage an Tugenden wie Furchtlosigkeit und Mannesmut. In gleich drei Dramen rühmte Klopstock die Opferbereitschaft des Heerführers und stellte ihn in eine Reihe mit all jenen, „die ihr Vaterland mehr als ihr Leben liebten.“ In monumentalen Dimensionen zeichnete Heinrich von Kleists „Hermannschlacht“ das Portrait eines Kämpfers, der unbeirrbar und mit taktisch brillanter Kriegslist über die Mächtigen triumphiert. 

Sie alle erzählten die Geschichte immer wieder neu – mal als Heldenepos, mal als patriotisches Statement, mal als tragische Lovestory. Denn selbst mit einer herzzerreißenden Liebesgeschichte konnte der Mythos aufwarten. Als sich Hermann und die Fürstentochter Thusnelda ineinander verliebten, war sie vom Vater Segestus bereits einem anderen versprochen worden. Tollkühn entführte Hermann die junge Frau, um sie gegen den Willen des Vaters zu heiraten. Dafür nahm Segestus furchtbare Rache: Er entführte nun seinerseits die abtrünnige Tochter. Vergeblich belagerte Hermann seinen Schwiegervater. Segestus paktierte mit den Römern, die Thusnelda nach Ravenna verschleppten, wo sie in Gefangenschaft einen Sohn gebar. Die beiden Liebenden sahen sich nie wieder. 

Im 19. Jahrhundert war der Cheruskerfürst bereits so populär, dass man ihm 1875 ein Denkmal widmete: das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Mit dem siegreichen Feldherrn feierte man zugleich den Gründungsmythos der Deutschen Nation. Immerhin hatte Hermann erkannt, dass er die verfeindeten germanischen Stämme einigen musste, um der Supermacht Rom die Stirn zu bieten. „Deutsche Einigkeit meine Stärke – meine Stärke Deutschlands Macht“, ließ man in das Schwert der 26 Meter hohen Statue eingravieren. Ein Motto, das viele Zeitgenossen als Bekenntnis zu säbelrasselndem Nationalismus interpretierten. 

Danach kam es noch häufig zu ideologischen Vereinnahmungen. Im Kaiserreich wurde die siegreiche Hermannschlacht als mentale Wehrertüchtigung umgedeutet, die Nationalsozialisten missbrauchten den militärischen Triumph des Cheruskers als Überlegenheitsbeweis der „germanischen Rasse“. […] Das Vermächtnis Hermanns ist ein ganz anderes: die Liebe zur Freiheit. Deshalb sollten wir genau das freilegen, was jenseits nationalistischer Ideologisierungen über Jahrhunderte hinweg an Hermann verehrt wird: dass die Freiheit selbst unter widrigsten Bedingungen errungen werden kann. Mehr noch, sein erbitterter Widerstand gegen die Römer erinnert uns daran, dass es sich lohnt, für unsere Werte und Überzeugungen zu kämpfen. Heute könnte man Parallelen zum Ukrainekrieg ziehen, in dem ein vergleichsweise kleines Land von einer Supermacht angegriffen wurde und sich mit bewundernswerter Tapferkeit dagegen wehrt. 

Die Faszination des Hermann-Mythos schöpft wesentlich aus dieser Asymmetrie: Gegen jede Wahrscheinlichkeit besiegt der Kleine den Großen. Insofern kann man Hermann als deutschen Robin Hood bezeichnen. Wie sein englisches Pendant zieht er gegen eine Übermacht zu Felde und macht seine militärische Unterlegenheit mit Wagemut und taktischer Klugheit wett. Selbst im Sport webt sich dieser Mythos fort. Nomen est omen: Als der Fußballverein Arminia Bielefeld in diesem Jahr völlig überraschend ins Pokalfinale einzog, ließen Fans ein gigantisches Vereinstrikot nähen, das sie der Statue in 50 Meter Höhe überstreiften. 

Wir lieben solche Geschichten. Weil sie uns die begründete Hoffnung vermitteln, dass auch der scheinbar Machtlose immer eine Chance hat. Also haben wir allen Grund, das Jubiläum des Denkmals zu feiern. Und damit die Kernbotschaft des Hermann-Mythos: in aller Konsequenz für unsere Freiheitsliebe einzustehen. Selbst dann, wenn der Kampf aussichtslos erscheint.

Der Gastbeitrag von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer erschien am 15. August 2025 im WESTFALEN-BLATT.