Im Rahmen der Ausstellungseröffnung zum Thema Freiheit im Deutschen Hygiene-Museum Dresden sprach Kulturstaatsminister Weimer über die Bedeutung von Freiheit für Demokratie und Gesellschaft. In seiner Rede spannte er den Bogen von der Freiheitsstatue über den DDR-Widerstand bis zu aktuellen Bedrohungen durch autoritäre Regime. Freiheit, so Weimer, sei eine ständig neu zu verteidigende Errungenschaft.
Weimer: “Freiheit ist ein zartes Gewächs, eine schutzbedürftige Pflanze, deren Wurzel im Himmel liegt, und deren Blüten und Früchte wir nur genießen, wenn wir gut auf sie aufpassen.”
– Es gilt das gesprochene Wort –
Diese Ausstellung lässt das Banner der Freiheit über Dresden wehen, zeigt die Fackel der Libertas auf Ihrem Ausstellungsplakat. Sie erklärt uns, was der römische Dichter und Philosoph Lucretius mit Libertas perfundet omnia luce meint: „Die Freiheit durchdringt alles mit Licht.“
Was wir hier sehen, ist eine Einladung, über das Verständnis von Freiheit nachzudenken. Vielleicht auch eine Einladung, unser Verhältnis zu politischer und persönlicher Freiheit zu erhellen. Ich meine die Freiheit, die mit gesellschaftlichen, politischen und persönlichen Erfahrungen verbunden ist, die über Jahrhunderte hinweg erkämpft und verteidigt wurde, und doch heute von vielen als eine eskalierende Freiheit erlebt, als (Über-)Forderung des Einzelnen verstanden wird und Angst erzeugt. Lähmt diese Angst vor der Freiheit das demokratische Vertrauen in sie, wird sie der Demokratie ihre Existenzgrundlage entziehen und die Sehnsucht nach einer vermeintlichen Sicherheit jenseits der Demokratie befördern. Es ist diese vermeintliche Sicherheit, die Ralf Dahrendorf meinte, als er von den Versuchungen der Unfreiheit sprach.
Mit einer Schiffsparade empfingen die New Yorker heute vor 140 Jahren, am 19. Juni 1885, die Freiheitsstatue. Die Monumentalskulptur, ein Gemeinschaftswerk des Bildhauers Frédéric-Auguste Bartholdi und des Ingenieurs Gustave Eiffel, war ein Geschenk Frankreichs an die USA. Zwei Tage zuvor war sie in Einzelteilen mit dem Schiff in New York angekommen. Beide – Frankreich und die USA – blickten damals bereits auf eine stolze Verfassungsgeschichte zurück.
Den Deutschen blieben die verbrieften, persönlichen und politischen Freiheitsrechte nach der Ablehnung der Reichsverfassung der Frankfurter Nationalversammlung durch den preußischen König 1849 noch versagt. Besonders hier in Dresden entlud sich die revolutionäre Stimmung im Maiaufstand 1849. Engagierte Freiheitskämpfer waren dabei der Hofkapellmeister Richard Wagner und der Baumeister Gottfried Semper, der sich nicht nur auf den Bau von Opernhäusern verstand. Er ließ kolossale Straßensperren errichten, die Semperbarrikaden.
Doch auch wenn „die Freiheit, die ich meine“ als deutsches Gefühl in der Zeit der Freiheitskämpfe gegen Napoleon von Max von Schenkendorf niedergeschrieben und besungen wurde, wenn sie in Hoffmann von Fallerslebens Dreiklang von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ Ausdruck fand: In einem Nationalstaat fanden die Deutschen erst 1871 zusammen. Eine erste demokratische Verfassung gaben sie sich mit der Weimarer Reichsverfassung erst 1919. Und auch sie währte nur bis das Ermächtigungsgesetz sie am 24. März 1933 außer Kraft setzte.
Die Freiheit aber, das haben die Deutschen in bald zwei Jahrhunderten und nach zwei gescheiterten Anläufen, einen demokratischen Staat zu gründen, lernen müssen, gibt es nur in einer Demokratie. Nur eine Verfassung, die die Grundrechte aller achtet, ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern persönliche und politische Freiheit.
Eben das wollten auch die Menschen, die im Juni 1953 hier in Dresden und in vielen anderen Städten der DDR protestierten. Aus einem Aufstand gegen miserable Arbeitsbedingungen wurde innerhalb von Stunden ein Volksaufstand. Hunderttausende erhoben sich gegen das SED-Regime. Wie wir wissen, vergeblich. Der Aufstand wurde mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht niedergeschlagen. Nach dem 17. Juni 1953 baute die Stasi ein dichtes Netz der Überwachung und Bespitzelung auf. Die Flucht seiner Bürger in den Westen unterband Ulbricht schließlich mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961.
Es war nicht die Fackel der Libertas, die diesen Staat erleuchtete. Die DDR hatte ihren Bürgerinnen und Bürgern die elementarsten Freiheiten verweigert. Der als „Licht der Freiheit“ bekannte Leuchtturm Dahmeshöved in Schleswig-Holstein galt den Bürgern der DDR fortan als Orientierungspunkt, als ein freiheitliches Licht.
Anfang des 19. Jahrhunderts, im Vormärz, verband der Freiheitskampf auch Polen und Deutsche. Der gescheiterte Warschauer Novemberaufstand 1830/31 gegen die russische Fremdherrschaft stieß in liberalen deutschen Kreisen nicht nur auf Solidarität. Er löste eine wahre Polenbegeisterung aus. Auf dem Hambacher Fest wehte die polnische Fahne der nach Preußen geflohenen Freiheitskämpfer neben der Schwarz-Rot-Goldenen und der französischen Trikolore. „Für unsere und eure Freiheit!“ war die Losung der Polen, „Ohne Polens Freiheit keine deutsche Freiheit“, die deutsche. Erst die Posen-Frage trennte diese Allianz.
Polen hat einen langen erschöpfenden Kampf um seine Freiheit und die Freiheit Mittel- und Osteuropas gekämpft. Gegen die russische Fremdherrschaft im 19. Jahrhundert, gegen die deutsche Besatzung und den Terror der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs und schließlich gegen die sowjetische Bevormundung und die kommunistische Herrschaft nach 1945. Der Solidarność-Bewegung im August 1980 waren bereits andere große Aufstände (der Posener Aufstand im Juni 1956, die März-Unruhen 1968, der Dezember-Aufstand 1970 und der Volksaufstand im Juni 1976) vorausgegangen. Der polnischen Opposition gelang es schließlich, Intellektuelle und Arbeiter im Widerstand zu einen. Mit Lech Wałęsa als Vorsitzenden konnte 1981 ein unabhängiger Verband freier Gewerkschaften gegründet werden: die Solidarność. Sie strebte Reformen innerhalb des bestehenden sozialistischen Systems an. Nach wenigen Monaten wurde sie verboten und rund 10.000 ihrer Mitglieder wurden verhaftet. Die erstrittenen Freiheiten wurden zurückgenommen und Proteste gewaltsam unterdrückt. Erst 1988, nach den Streikwellen unter dem Motto „Keine Freiheit ohne Solidarität“, verhandelte die Staatsführung mit den Gewerkschaftsführern, mit anderen Oppositionsströmungen und vor allem der katholischen Kirche. Die anschließenden Parlamentswahlen im Juni 1989 brachten den Regimewechsel. Die Transformation vom sozialistischen Einparteienstaat zu einer freiheitlichen, parlamentarischen Demokratie mit einem pluralistischen Parteiensystem war vollzogen.
Die Solidarność-Bewegung in Polen hat entscheidend dazu beigetragen, Mitteleuropa von der sowjetischen Vormundschaft zu befreien. Der Historiker Timothy Garton Ash sprach von Freiheitsbewegungen, die „zehn Jahre in Polen, zehn Monate in Ungarn, zehn Wochen in der DDR, zehn Tage in der Tschechoslowakei und zehn Stunden in Rumänien“ dauerten. Dabei gab es weder in der DDR noch in der ČSSR vor der Wendezeit eine vergleichbare Solidarisierung und Oppositionsbewegung wie in Polen. Tatsächlich brachte in der Tschechoslowakei der Generalstreik der Studierenden und der friedliche Protest mit symbolischen Schlüsselbundrasseln die Regierung innerhalb von zehn Tagen zur Aufgabe. Vorausgegangen waren allerdings gut zwei Jahrzehnte politischer Stagnation und Sowjet-Treue, nachdem 1968 die Truppen des Warschauer Pakts den Prager Frühling niedergeschlagen hatten. Václav Havel, Wortführer der „Samtenen Revolution“, prägte den Satz: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“
Im Falle der Freiheits- und Oppositionsbewegungen in Mittel- und Osteuropa und auch hier in Ostdeutschland ist es gut ausgegangen. Heute können wir uns einerseits freuen und würdigen, dass eine freie Demokratie unser Gehäuse ist, und auch unsere Nachbarn in Tschechien und Polen wirkliche Freiheit leben. Es ist gerade den Mutigen und Tapferen Freiheitsfreunden hier in Sachsen, den Frühlingskämpfern hier drüben in Prag und den Solidarność-Mutigen da drüben in Polen zu verdanken, dass das so ist. Wir sollten sie in der Woche des 17. Juni ehren und ihnen danken. Denn Freiheit bekommt man nicht geschenkt, sie hat ein zartes und zerbrechliches Wesen. Und sie ist derzeit in Gefahr. Global, weil Weltmächte wie China und Russland die Freiheit verachten und bekämpfen, weil Russland einen brutalen Krieg gegen die Freiheit der Ukrainer und letztlich die Freiheit Europas führt. Die Ukrainer haben derzeit jeden Tag 17. Juni. Die Freiheit wird aber auch vom global agierenden Islamismus attackiert, viel zu häufig von Staaten wie dem Iran gesteuert und zu massenhaftem Terrorismus organisiert.
Aber die Freiheit ist auch von politischen Bewegungen bedrängt, von rechten Ressentiments und linken Bevormundungen. Wir erleben von den politischen Rändern den Vormarsch von geistigem Autoritarismus. Und der verdunkelt die Meinungsfreiheit wie die Wissenschaftsfreiheit. Nach der jüngsten Wissenschaftsstudie „Academic Freedom Index“ ist die Wissenschaftsfreiheit in 34 Ländern auf dem Rückzug. Selbst in den USA werden Universitäten wie Harvard aus rechts-ideologischen Gründen attackiert. Und auch bei uns sollten wir aufpassen, was mit der Meinungsfreiheit passiert. Wenn mehr als die Hälfte der Deutschen empfindet, man dürfe in Deutschland nicht wirklich frei sagen, was man denkt, dann ist das ein alarmierender Befund. Denk- und Redeverbote, eine links-woke Cancel-Culture und Formen von politisch korrekter Bevormundung tragen dazu bei, dass die Räume des Gesagten, dass die Räume der Freiheit enger werden. Gegen geistigen und sprachlichen Autoritarismus sollte sich die breite, demokratische Mitte der Gesellschaft wehren.
Auch gegen die Medienmonopole großer Digitalkonzerne bei uns in der westlichen Welt, die mal eben auf Geheiß eines Präsidenten den Golf von Mexiko zum Golf von Amerika umbenennen, die zu groß und meinungsmächtig geworden sind, die Medienvielfalt bedrohen und obendrein auch noch Steuern vermeiden, obwohl sie in Deutschland Milliarden verdienen. Ich habe darum den Plattform-Soli gefordert und bitte in der politischen Debatte dabei um ihre Unterstützung, dass wir Google & Co. endlich einladen, ihren Beitrag zur gesellschaftlich Teilhabe in Deutschland zu leisten und die Medien besser vielfältig organisieren als einseitig.
Diese Ausstellung erzählt die Freiheitsgeschichte Mitteleuropas als eine unvollendete Geschichte. Und genau das ist sie – immer unvollendet. Denn wahr bleibt, was Benjamin Franklin über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit gesagt hat: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“ Freiheit ist ein zartes Gewächs, eine schutzbedürftige Pflanze, deren Wurzel im Himmel liegt, und deren Blüten und Früchte wir nur genießen, wenn wir gut auf sie aufpassen. Genau das tun Sie hier in Dresden und darum wünsche ich der Ausstellung und Ihrer Haltung viel Erfolg.