Thomas Mann wäre am 6. Juni 150 Jahre alt geworden. Er war ein Mensch, der sich instinktiv nach links lehnte, wenn der Kahn rechts zu kentern drohe – und umgekehrt. Warum Thomas Mann heute wieder so wichtig wird, erklärt Kulturstaatsminister Wolfram Weimer in seinem Gastbeitrag im RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.
Thomas Mann am Schreibtisch.
Es gibt wuchtige Aussagen über Thomas Mann, die atmen Selbstverständlichkeit. Etwa: Thomas Mann ist Deutschlands größter Erzähler des 20. Jahrhunderts. Natürlich auch: Seine Romane wie „Buddenbrooks“, „Der Zauberberg“ und „Doktor Faustus“ sind Klassiker der Weltliteratur, der Nobelpreis von 1929 war hochverdient. Selbst Germanisten-Pathos wirkt wie Gemeingut: Seine Sprache ist eine Kathedrale an Raffinesse, Rhythmus und Eleganz. Als Souverän feinsinniger Ironie, als Poet des bürgerlichen Gehäuses, als Genie des Satzbaus und sogar als originellen Großmeister des Semikolons lässt man ihn durchgehen.
Widersprüchlicher ist der Mensch Thomas Mann. Unterhalb seines literarischen Olymps, im dunklen Gemenge der Welt, war er oft unsicher und verletzbar, sozial, familiär, sexuell. Wenn jemand ihn kritisierte, konnte er Jahre damit verbringen, peinlich genau heimzuzahlen – so geschehen im Monster-Essay der „Betrachtungen eines Unpolitischen“, in denen er seinen Ersten Weltkrieg gegen den älteren Bruder Heinrich führte. Er beschimpfte ihn auf Hunderten Seiten als „Zivilisationsliteraten“, der aus Wirkungshunger französisches Revolutionstheater spiele.
„Je lauter linke und rechte Ideologen die Keulen schwangen, desto klarer behauptete er die bürgerliche Idee von Freiheit, Maß und Demokratie“, so Wolfram Weimer über Thomas Mann.
Quelle: Jesco Denzel / BundesregierungDer Streit mit dem Bruder war vor allem politischer Natur. Denn auf diesem Feld absolvierte Thomas Mann zunächst einen wankenden Gang. Während Heinrich sich früh als linker Schriftsteller positioniert hatte, der den bürgerlichen Opportunismus im Kaiserreich auch in seinen Romanen bekämpfte, stimmte Thomas Mann für die „machtgeschützte Innerlichkeit“ des Kaiserreiches, weil sie ihm die Freiheit schenkte, zu denken und zu machen, was er wollte. Aber er stimmte damit eben auch für den Kaiser und seinen Weltkrieg.
Aus dem nationalkonservativen, großbürgerlichen Freigeist wurde im Sommer 1918 ein anderer. Während der zweimonatigen Sommerfrische am Tegernsee mit Frau Katia, den fünf Kindern und dem Hund Bauschan schrieb er „Herr und Hund“ und schrieb innerlich sein politisches Bewusstsein. Der Freigeist wuchs, der Großbürger zweifelte, und der nationalkonservative Monarchist wurde zusehends zum Demokraten.
Während in der Weimarer Republik die Extremisten immer lauter und brutaler die junge Demokratie attackierten, hielt Thomas Mann am 13. Oktober 1922 in Berlin seine historische Rede „Von deutscher Republik“ und verteidigte die Demokratie, die zur deutschen Kultur und Tradition doch besser passe als jede „imperiale Gala-Oper“. Als er in den späteren 1920er-Jahren begann, immer lauter gegen Hitler, den Nationalsozialismus und politischen Irrationalismus zu agitieren, konnte er noch nicht wissen, in was für einer historischen Katastrophe das alles enden würde. Aber er hatte ein feines Gespür entfaltet für den Humanismus der Mitte. Je lauter linke und rechte Ideologen die Keulen schwangen, desto klarer behauptete er die bürgerliche Idee von Freiheit, Maß und Demokratie. Und so wurde ausgerechnet er, der betont Nicht-Linke, zum größten Feind der Rechten, zum Wanderredner der Demokratie und schließlich zum wichtigsten Gegenspieler und Gegenredner Adolf Hitlers.
Der Schriftsteller im Maßanzug, der konservative Nobelpreisträger für Literatur entwickelte sich im Alter zum Aktivisten und wortgewaltigen Widerstandskämpfer. Er wütete gegen das Nazi Regime und deren „schäbige Grausamkeit“, ihre „Entmenschung“, ihren „Raub-, Mord- und Lügenstaat“. Deutschland sei mit ihnen der „Amokläufer unter den Völkern“ geworden, getrieben von Hitlers Schergen und „ihrer ganzen defekten Menschlichkeit“.
Die Schriftstellerin Mely Kiyak, die Thomas Manns BBC-Reden zwischen 1940 und 1945 gerade neu herausgegeben hat, schreibt: „Thomas Mann war ein Antifaschist. Er begegnete dem Faschismus und denen, die ihm bedingungslos folgten, mit der einzig richtigen Haltung. Er nahm ihn persönlich. Deshalb waren seine Reden groß, sehr groß. Er konnte gut von böse, Recht von Unrecht unterscheiden. Manchmal schimpfte er, seine Urteile scheuerte er den Deutschen gnadenlos rechts und links in ihre Gesichter…“
Was uns das heute sagt? Wir alle, scheint mir, sind heute wieder gefordert, uns mit Gleichgewichtssinn für den Erhalt der Demokratie, für die Freiheit des Denkens und Redens einzusetzen – gegen alle Ideologien, linke wie rechte. Der Humanismus von Thomas Mann und seine urwuchtige Freiheitsliebe sind es, die auch heute Orientierung bieten, da die Räume der Freiheit allenthalben enger werden. Er sei ein Mensch des Gleichgewichts, sagte er, lehne sich instinktiv nach links, wenn der Kahn rechts zu kentern drohe – und umgekehrt. Seine bürgerliche Idee der Mitte überzeugt – weil er sich, zwischen die Extreme der Welt gestellt, für Humanismus, Kultur und Aufklärung entschied. Und damit am Ende die Freiheit hat siegen lassen.
Der Gastbeitrag von Kulturstaatsminister Wolfram Weimer erschien am 06.06.2025 im RND RedaktionsNetzwerk Deutschland.