Claudia Roth bei der Eröffnung des Berliner Theatertreffens 2025.
In Berlin hat das Theatertreffen begonnen. Dabei werden zehn aktuelle Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum aufgeführt, die eine Jury als die besten ausgewählt hat. „Das Theatertreffen zeigt Jahr für Jahr, wie lebendig, wie politisch, wie mutig das deutschsprachige Theater heute ist und heute sein muss. Und wie viel Arbeit, wie viel Leidenschaft, wie viel Herzblut hinter jeder Inszenierung steckt“, sagte Claudia Roth bei der Eröffnung der diesjährigen Ausgabe. Sie verabschiedete sich bei der Veranstaltung aus dem Amt. Der Rückblick auf ihre Zeit als Kulturstaatsministerin erfülle sie mit tiefer Dankbarkeit und auch ein wenig mit Wehmut, aber sie gehe „mit dem Vertrauen, dass die Kunst weiterwächst.“
- Es gilt das gesprochene Wort -
Was für ein Geschenk, heute Abend hier zu stehen. Was für ein Moment – und was für ein Ort – auch, um sich zu verabschieden. Denn ja, in ganz wenigen Tagen werde ich mein Amt als Staatsministerin für Kultur und Medien beenden. Und ich könnte mir wirklich als einen meiner letzten Termine keinen würdigeren, keinen liebevolleren, keinen wahrhaftigeren wünschen als diesen: das Theatertreffen.
Im Theater – als Hospitantin am Landestheater Schwaben – da gibt‘s gar nix zu lachen – , als Dramaturgin an den Städtischen Bühnen in Dortmund und bei „Hoffmanns Comic Teater“ in Unna – hat mein beruflicher Weg begonnen. Das Theater war aber nicht nur mein erster Beruf. Es ist eine Leidenschaft, die mich bis heute begleitet.
Ich habe dort gelernt, dass Menschen, die sich in ihrer Zerbrechlichkeit zeigen, oft am stärksten sind. Ich habe gelernt, dass Kunst heilen kann – und dass sie gleichzeitig wehtun muss.
Und ich habe gelernt, dass das Licht manchmal von ganz unten kommt. Von der Rampe, von den Rändern, von den Stimmen, die sich endlich Gehör verschaffen.
Und all das – diese Erfahrungen, diese Werte, diese Leidenschaft – habe ich mitgenommen in meine politische Arbeit.
Denn auch in der Politik geht es nicht nur um das große Ganze sondern auch um die feinen Zwischentöne.
Es geht um das Ringen mit der Realität. Um Hoffnung, um Haltung, um das Unbequeme. Es geht darum, Räume zu schaffen – für Freiheit, für Vielfalt, für Widerspruch – für Kunst. Für die Freiheit der Kunst.
Ich habe dieses Amt in einer Zeit übernommen, in der wir von Krisen geschüttelt und erschüttert wurden: Eine Pandemie, die die Theater zum Verstummen brachte. Ein brutaler Angriffskrieg mitten in Europa, der auch ein systematischer Krieg gegen Kunst und Kultur ist. Eine wachsende Bedrohung unserer offenen Gesellschaft durch rechtsextreme Kräfte, durch eine rechtsextreme Partei, durch Rechtsstaatsverächter und Demokratiefeinde, die auch und gezielt Kunst- und Kulturschaffende angreifen.
Und immer begleitet von der lauten Frage: Was ist Kultur uns wert?
Meine Antwort war – und ist – ganz klar: Kultur ist kein Beiwerk. Kein Bonus. Kein „nice to have“. Kultur ist der Sound unserer Demokratie, ist unsere kollektive Vorstellungskraft. Unser Spiegel, unser Stachel, unsere Möglichkeit, uns selbst zu übersteigen.
Und in kaum einem Bereich wird das so kraftvoll sichtbar wie im Theater.
Hier, auf diesen Bühnen, wird gestritten und gelitten, gelacht und geliebt. Hier wird das Menschsein seziert – und gefeiert. Hier dürfen Fragen offenbleiben. Und hier ist Ambivalenz keine Schwäche, sondern der stärkste Ausdruck von Wahrheit.
Das Theatertreffen zeigt Jahr für Jahr, wie lebendig, wie politisch, wie mutig das deutschsprachige Theater heute ist und heute sein muss. Und wie viel Arbeit, wie viel Leidenschaft, wie viel Herzblut hinter jeder Inszenierung steckt.
Ich verneige mich vor Ihnen allen – vor den Künstler*innen, den Ensembles, den Techniker*innen, den Intendanzen, den Kritiker*innen, dem Publikum, dem Team der Berliner Festspiele. Danke. Danke, dass Sie diesen Ort immer wieder neu erfinden.
Mein besonderer Dank an diesem Abend gilt Ihnen, liebe Nora Hertlein-Hull als Leiterin des Theatertreffens. Sie verantworten auch das vielseitige Rahmenprogramm, unter anderem das Internationale Forum, das in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen feiert. Wir dürfen gespannt sein auf Performances, Installationen, einen Film, Lesungen und Diskussionen, die die Aufführungen der zehn Inszenierungen begleiten.
Ich danke Ihnen allen, die hier beteiligt sind, weil Sie mich – und viele von uns – in diesen Tagen daran erinnern, wofür wir kämpfen: Für ein Land, in dem es keine Angst gibt vor der Komplexität. Für eine Gesellschaft, in der Empathie mehr zählt als Eindeutigkeit. Für ein Miteinander in Vielfalt, geprägt von der Anerkennung und dem Respekt vor der Unterschiedlichkeit. Für eine Demokratie, in der Argumente und Fakten mehr zählen als die Frage, wer am lautesten und am hasserfülltesten brüllt.
Für eine Debattenkultur, die Platz lässt für Zweifel – und Hoffnung. Für die Sicherheit und Stabilität unserer so wundervollen Kulturlandschaft.
Wenn ich zurückblicke auf meine Zeit als Kulturstaatsministerin, dann erfüllt mich tiefe Dankbarkeit. Und ja, auch ein bisschen Wehmut. Aber ich gehe mit dem Vertrauen, dass die Kunst weiterwächst. Dass junge Stimmen laut werden. Dass neue Geschichten erzählt werden. Und dass das Theater – dieses wunderbare, fragile, aufrüttelnde Theater – weiter leuchtet. Auch und gerade in finsteren Zeiten.
Ich wünsche diesem Theatertreffen 2025 all das, was Theater ausmacht: Mut, Liebe, Brüche, Schönheit, Radikalität. Und ich wünsche uns allen, dass wir uns berühren lassen. Dass wir nicht nur zuschauen, sondern mitfühlen. Mitdenken. Mitverändern. Und vielleicht treffen wir uns bald wieder. Im Parkett. Im Foyer. Oder ganz leise im Dunkel vor dem Applaus.
Danke für alles. Danke für Ihre Arbeit. Und danke von ganzem Herzen für die Kunst.