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Eröffnung der Frankfurter Buchmesse

Thema: Rede

Dienstag, 15. Oktober 2024

„Das Buch als Symbol für das freie, für das vielfältige und für das offene Denken – sieht sich heute wieder bedroht“, erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse. Gerade in diesen Zeiten sei ein Fest des Buches wie die Frankfurter Buchmesse umso wichtiger. Sie sei nicht nur ein Markt der Bücher, sondern vor allem auch „ein Markt der Ideen und des Wissens, ein Ort der Begegnung und der Inspiration. Sie ist eine Feier der Schönheit und der Freiheit des Wortes. Sie ist ein Ort und ein lebendiges Forum des demokratischen Dialogs, des Austauschs der Meinungen, Ansichten und Geschichten aus allen Ecken der Erde“, so Roth.

- Es gilt das gesprochene Wort -

Ihr habt vollkommen recht, man darf nicht ausgerechnet an der Kultur sparen. Helfen Sie mit, dass das auch bei den Entscheidern ankommt, dann tun Sie etwas Gutes!

„Alles auf dieser Welt kann man rückgängig machen, bloß nicht das Wissen“. Das hat der großartige italienische Schriftsteller Alberto Moravia gesagt. Und für dieses Wissen steht das, was uns hier und heute zusammenbringt: Das Buch.

Bücher haben eine Revolution des Denkens angestoßen, sie waren ein entscheidender Baustein der Aufklärung, vor allem seit der Mainzer Gutenberg mit dem Buchdruck den Weg für die schnelle und einfache Verbreitung des Denkens in Buchform bereitet hat. Scheinbar unverrückbare Autoritäten wurden in Frage gestellt. Der Damm war gebrochen. Kein Bann konnte mehr das freie Denken aufhalten.

Allerdings: Viel, sehr viel, wurde versucht, dieses Werkzeug für eigenes, freies Denken, für Selbstbestimmung und eine Vielfalt von Meinungen und Perspektiven zu unterdrücken und zu verbieten. Über Jahrhunderte auch in unserem Land. Ganz besonders schrecklich noch im letzten Jahrhundert, im nationalsozialistischen Deutschland. Und das Buch als Symbol für das freie, für das vielfältige und für das offene Denken – sieht sich heute wieder bedroht. Die Fatwa gegen Salman Rushdies satanische Verse war ein Fanal. Und heute? In der Ukraine werden Bücher verbrannt von den russischen Aggressoren, die die ukrainische Kultur ausmerzen wollen.

Autor:innen wie Viktoria Amelina oder Volodymyr Vakulenko sind Opfer dieses verbrecherischen russischen Angriffskrieges geworden und haben ihn, wie viele andere, mit ihrem Tod bezahlt. Bücher werden verboten und ihre Autor:innen unterdrückt, verfolgt und eingekerkert, in Russland, im Iran, in China und weit darüber hinaus.

Auch in Europa sehen wir bedenkliche Tendenzen, wenn es um die Freiheit des Buches, die Freiheit des Wortes geht. Und bei uns in Deutschland berichten mir Buchhändler:innen und Bibliothekar:innen, dass ihnen antidemokratische Kräfte vorschreiben wollen, was sie in ihre Schaufenster legen und was sie im Bestand haben sollen.

Das dürfen und das werden wir nicht zulassen, liebe Demokratinnen und Demokraten!

Bücher brauchen Freiheit und Demokratie – wie die Demokratie Bücher braucht. Bücher, die kritische Fragen stellen, die neue Perspektiven aufzeigen, die das bislang noch nicht Vorstellbare imaginieren, Bücher, die subversiv und kritisch sind. Sie sind ein wichtiges Antriebsmittel, das Demokratien zum Laufen bringt und am Leben erhält. Sie sind öffentliche Meinung und sie sind Kultur und Kunst.

„Poesie“, hat Heinrich Böll so richtig gesagt, „Poesie ist Dynamit für alle Ordnungen dieser Welt.“ Bücher wecken unsere Neugier auf das Unbekannte und diese Neugier öffnet uns auch für das Fremde. Fremdheit kann Angst und Abwehr erzeugen.

Doch je mehr wir lesen, lernen und vor allem wissen, desto bedeutungsloser wird die Angst, wird das Ressentiment und umso leidenschaftlicher unsere Lust am Neuen, am Unbekannten. Das macht Literatur zu einem Mittel gegen die schlichten Wahrheiten des Populismus, gegen Vereinfachungen, gegen Verkürzungen, gegen Verdrehungen, gegen Fake News, Hass und Hetze.

Bücher befähigen uns, mündige Bürger:innen zu sein, sie befördern Selbstbestimmung und das gelingende Zusammenleben in Vielfalt und dem Respekt vor und der Anerkennung der Verschiedenheit. Das brauchen wir gerade in diesen Kulturkampfzeiten dringend. Sehr dringend.

Wir lieben Bücher, wollen ohne sie nicht leben. Denn Bücher können auch ganz einfach wunderbar sein, uns auf ferne Reisen schicken und in andere Welten tragen. Ohne einen Stapel davon auf meinem Nachttisch würde ich persönlich in große Bestürzung geraten und schlecht schlafen. Und eine wirklich richtig gute Nachricht ist: Diese Kraft des Buches wirkt auch bei jungen Menschen.

Das zeigt der große Erfolg unseres KulturPasses für 18-Jährige: Mit über einer Million über den KulturPass erstandenen Büchern – und zwar jeweils vor Ort, in einem Buchladen – sind Bücher ganz klar die Nummer eins innerhalb der vielen Kulturangebote des KulturPasses. Das ist für Sie, das ist für uns alle ein sehr ermutigendes Signal und natürlich wird es den KulturPass auch im nächsten Jahr geben.

Ein wichtiges deutsches Magazin hat die Frankfurter Buchmesse ja sogar auf ihren Titel gehoben und sich an einem Kanon der besten deutschsprachigen Bücher versucht. Zu diesem Kanon hätte sicher jeder von Ihnen hier im Saal eine ganz eigene Meinung, ich natürlich auch.

Ich habe mich auch gefragt wie er für mich aussehen würde in Bezug auf das so reiche und literarische Schaffen eines Landes, dessen Autor:innen die Literatur weltweit geprägt haben: Italien.

Italien, ja, Sehnsuchtsort. Ein Land, das Menschen zum Träumen bringt, das für die besten Zeiten im Jahr steht. Ein Land, das Generationen von Künstler:innen bei uns geprägt, das ihr künstlerisches Schaffen, ihr Schreiben und Denken stark beeinflusst hat. Goethe dürfte bis heute die unerreichte Ikone dieser ganz besonderen Italien-Verliebtheit sein und diesen Goethe habe ich mir heute auch noch angesehen. Und wir, wir als BKM, pflegen unsere Verbindung zu Italien ganz besonders in der Villa Massimo in Rom, wo wir zur Zeit David Grossmann empfangen dürfen.

So reich und so prägend die Kulturgeschichte Italiens für Europa ist, so spannend und wirkungsmächtig ist das Italien der Gegenwart: Ich werde es hier jetzt nicht wagen, einen Kanon aufzustellen. Aber ich kann sicher sagen, dass unsere europäische Literatur und Kultur heute ohne einen Alberto Moravia, eine Elsa Morante, eine Grazia Deledda, einen Luigi Pirandello, einen Giuseppe Tomasi di Lampedusa, einen Italo Calvino, einen Primo Levi, eine Natalia Ginzburg, einen Umberto Eco, eine Dacia Maraini, eine Lara Cardella, eine Elena Ferrante, einen Davide Enia, einen Dario Fo, eine Francesca Melandri, einen Mario Desiati, einen Roberto Saviano, eine Igiaba Scego – und natürlich die Stimmen, die wir heute hören werden und viele andere mehr – dass unsere europäische Literatur und Kultur nicht nur ärmer wäre, der europäischen Literatur würden entscheidende Bausteine für ihren Reichtum fehlen!

Es ist diese Vielfalt der Perspektiven und Formen, die die italienische Literatur ausmacht und sie so kraftvoll macht. Umso mehr freue ich mich, diese ganz Fülle der Vielstimmigkeit auf der Frankfurter Buchmesse entdecken zu können.

Meine Damen und Herren, und dafür brauchen wir Sie, die Autor:innen, die Verlage, die Verleger:innen, Lektor:innen, Übersetzer:innen, Buchhändler:innen. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Arbeit!

Und ich weiß ich sehr wohl, dass die Zeiten für die Literatur, für die Übersetzer:innen, für die vielen kleineren Verlage, die den Reichtum der Vielfalt in unserem Land ausmachen, für die Buchhändler:innen und den Buchmarkt insgesamt überhaupt nicht einfach sind. Das ist mir sehr bewusst.

Mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen unterstütze ich mit meinem Haus bereits Ihr so wichtiges Wirken: Mit dem Literatur- und Übersetzerfonds, mit dem Verlagspreis, mit dem Buchhandlungspreis, mit der Garantie, dass diese Regierung an der Buchpreisbindung und dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz festhalten wird – und nicht zuletzt mit dem bereits genannten KulturPass.

In unserer sehr sehr schwierigen, und sie ist wirklich verdammt schwierig, Haushaltssituation habe ich für die Kultur, für den Kulturhaushalt gekämpft.

Da konnte ich bei weitem noch nicht alles erreichen, was aus meiner Sicht für die Kultur, für die Buch- und Verlagsbranche nötig gewesen wäre. Aber ich werde in den anstehenden parlamentarischen Haushaltsberatungen weiterkämpfen, um mehr möglich zu machen!

Und noch eine Herausforderung stellt sich uns. „KI ist zugleich eine Entdeckung und ein Werkzeug, ein Mittel der Forschung und eine gesellschaftsumwälzende Kulturtechnik“, so beschreibt es Daniel Kehlmann und warnt, diese einschneidenden Entwicklungen nicht sich selbst zu überlassen. Das habe ich sehr genau im Blick, insbesondere auch wenn es um den Schutz der Rechte von Kreativen geht.

Liebe Anwesende,

gerade in diesen finsteren Zeiten brauchen wir dieses größte Fest des Buches weltweit, die Frankfurter Buchmesse. Sie zeigt die ganze Breite, die ganze Vielfalt dessen, was es an Büchern im deutschsprachigen Raum gibt und ist zugleich ein offenes und breites Fenster zur Welt. Rund 100 Länder sind hier präsent, 1000 Autor:innen werden hier auftreten.

Die Frankfurter Buchmesse ist ein Markt der Bücher, vor allem aber auch ein Markt der Ideen und des Wissens, ein Ort der Begegnung und der Inspiration. Sie ist eine Feier der Schönheit und der Freiheit des Wortes. Sie ist ein Ort und ein lebendiges Forum des demokratischen Dialogs, des Austauschs der Meinungen, Ansichten und Geschichten aus allen Ecken der Erde.

Das ganz besondere Merkmal der Frankfurter Buchmesse ist diese bunte Vielstimmigkeit, ist die Kraft der Diversität. Und darauf freue ich mich genauso wie tausende buchbegeisterte Demokratinnen und Demokraten, die die Buchmesse in den nächsten Tagen besuchen werden. „Das Schweigen mäht jeden Tag seine Opfer nieder. Das Schweigen ist eine tödliche Krankheit“, davor warnte Natalia Ginzburg. Diese Frankfurter Buchmesse ist das genaue Gegenteil uns ist das beste Mittel dagegen.

In diesem Sinne wünsche ich dieser 76. Buchmesse viel Erfolg und ein wunderbares Gelingen!

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