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Digital-Gipfel 2023 der Bundesregierung

Thema: Rede

Dienstag, 21. November 2023

In ihrer Keynote beim 16. Digital-Gipfel der Bundesregierung sprach sich Kulturstaatsministerin Roth für einen verantwortungsvollen Umgang mit Künstlicher Intelligenz aus. „Kreatives Schaffen muss auch im digitalen Raum seinen Wert behalten“, betonte sie. Bei den laufenden Verhandlungen zur KI-Verordnung der EU werde sie sich für ein starkes Urheberrecht einsetzen. Außerdem müssten Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden – auch im digitalen Raum, sagte die Staatsministerin etwa mit Blick auf KI-generierte Fake News und Desinformationen.

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Vor etwas mehr als einem Monat fragte die ZEIT den Künstler, Schriftsteller, KI-Entwickler und Berater von OpenAI, Vladimir Alexeev, in einem Interview, worüber er gerade nachdenke. Er antwortete: „Gerade denke ich, dass wir am Anfang einer neuen Kulturepoche stehen und kaum jemand bemerkt es.“

Er beobachte Parallelen zur historischen Avantgarde, die nach dem 1. Weltkrieg alle Traditionen, die Kultur, ja die ganze Zivilisation infragestellte. Eine Gesellschaft, die sich selbst als hochzivilisiert empfand, aber dennoch nicht in der Lage war, die Katastrophe des Weltkriegs zu verhindern. „Jetzt haben wir es zum Glück nicht mit einer derartigen Katastrophe zu tun“, glaubte er.

Das Interview erschien am 2. Oktober in der ZEIT.

Fünf Tage später war längst nicht mehr sicher, ob und wenn ja, wie wir „der Katastrophe“ noch entkommen können. Die Massaker der Hamas an Jüdinnen und Juden, aber auch arabischen Israelis und internationalen Gästen, haben die Welt nicht nur in Israel und Gaza verändert.

Wir behelfen uns damit, Bestialität und Menschlichkeit voneinander zu scheiden und müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen sind, die Menschen vergewaltigen, sie erniedrigen, töten und ihre Opfer dem Mob preisgeben, zu dem sie selbst geworden sind.

Wir müssen erleben, dass wieder geschieht, was nie wieder geschehen sollte. Von tiefer Verunsicherung zu sprechen, wäre untertrieben. Nackte Angst trifft es genauer. Jüdinnen und Juden sollen Angst haben. Und ebenso wir. Angst ist die Substanz des Terrors. Sie ist auch die Substanz der abscheulichen Bilder, die seither im Netz kursieren.

Digitale Zeugnisse eines Pogroms, aufgenommen mit Bodycams der Hamas-Terroristen, Ausweis hemmungsloser Gewalt, die sich in Echtzeit über “soziale“ Netzwerke verbreitet. Auf X, Instagram und besonders auf Tik Tok zündeln die Algorithmen. Ein Propagandakrieg ist entbrannt, dessen Folgen wir auf unseren Straßen erleben.

Der digitalisierte Djihad, der uns das Fürchten lehren soll, vervielfacht Hass und Gewalt zu einem endlosen Blutrausch. Eine Orgie, die sich dort fortsetzt, wo auf den Straßen gefeiert und gefordert wird: „From the River to the Sea!“. Wir können und wir werden das nicht tolerieren. Sich in den sozialen Netzwerken an die Seite von Jüdinnen und Juden zu stellen, ist gut und richtig, aber billig.

Wir müssen uns vor sie stellen. Der Protest gegen Antisemitismus in unserem Land muss sichtbar sein und öffentlich, wenn er wirksam werden soll. Gleichmut kann nicht unsere Antwort sein. Wir wollen, dass Jüdinnen und Juden frei und ohne Angst leben können. Hier, in Deutschland, tragen wir allein dafür die Verantwortung und dieses „wir“ schließt alle ein, die in diesem Land leben.

Und weil Menschen Verantwortung füreinander tragen, tragen wir sie auch für die Folgen des Hamas-Terrors im Gazastreifen. Und weil wir Menschen sind, ist uns das Schicksal der Menschen, der Frauen und Kinder im Gaza nicht egal – sie sind ebenso Opfer der Terroristen, die sie als Schutzschilde missbrauchen.

Unsere Verantwortung ist auch, dass Ukrainerinnen und Ukrainer sich gegen den russischen Terror verteidigen können, der sie in die Knie zwingen will. Wir tragen Verantwortung dafür, dass erhalten bleibt, was – ein weiteres Mal – zerstört werden soll, eine ukrainische Kultur, eine Gesellschaft, die sich gegen ein autokratisches System, gegen die Macht und für ein Teilen der Macht, für die Demokratie entschieden hat.

Der Schutz von Jüdinnen und Juden in unserem Land ist eine historische Verantwortung, ebenso wie die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer. Wer diese Geschichte der Gewalt nicht kennt, sollte daran erinnert werden.

Terror und Krieg in Israel und in der Ukraine – und das sind nur zwei Kriegsschauplätze unserer Welt – erinnern uns daran, dass wir verteidigen müssen, was die Bedingung unseres Lebens in den bald acht Jahrzehnten war, die uns von der Nazi-Barbarei trennen: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Ich weiß, oder besser, ich ahne, dass der digitale Raum grenzenlos und seine Möglichkeiten unendlich sind. Doch ich werbe dafür, dass wir uns als Gesellschaft in einem Raum bewegen, in dem diese Prinzipien der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Orientierung geben:

Die Freiheit der Kunst, nicht in den Dienst Einzelner, einer Gruppe, einer Ideologie oder auch nur einer „Absicht“ gestellt zu werden, und sei sie noch so erstrebenswert, ist nach meinem Verständnis nur einer Demokratie gegeben, weil wir in ihr nicht einer willkürlichen Macht folgeleisten, sondern als wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger durch freie Wahlen an der Machtausübung beteiligt sind.

Ein demokratischer Kulturbegriff wird deshalb niemanden ausschließen, er will die Teilhabe möglichst vieler und wird sich keinem anderen Primat als dem der Rechtsstaatlichkeit beugen.

Wir versuchen auf unterschiedlichen Wegen, die Orientierungsmarken Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch im digitalen Raum zu setzen, durch die Bekämpfung von Desinformation und Fake News im Netz, durch die Stärkung des Qualitätsjournalismus und die Förderung von Medien- und Nachrichtenkompetenz.

Die KI ist dabei ein doppelgesichtiges Wesen. Sie kann beides: Fake News generieren und verbreiten, Nachrichtensprecher und -sprecherinnen, ja gar Politikerinnen und Politiker Unsinn verbreiten lassen.

Ebenso kann sie helfen, diesen Unsinn zu erkennen und aufzuspüren. Wir brauchen sie also, müssen aber, was mit ihrer Hilfe erstellt wurde, auch kennzeichnen, um Nachrichten von Fake News und Deep Fakes unterscheiden zu können.

KI kann die journalistische Arbeit unterstützen, aber nicht ersetzen.

Jeder von einem Menschen verfasste Text, gleich welcher Art, lebt von Beobachtungen, Gedanken und Analysen. Journalistische Texte entstehen mithilfe des Netzes seit es existiert. Auch die Mithilfe von KI ist willkommen. Der KI auch die Denkleistung an der Erstellung eines Textes zu überlassen, scheint ökonomisch folgerichtig, wäre aber nicht besonders intelligent.

Texte sind ein Mittel der Kommunikation, sie sind Zwischenrufe, Debattenbeiträge, Betrachtungen oder auch Pamphlete – aber immer dienen sie dem Gespräch unter Menschen. Zeitungen und Magazine leisten sich Heerscharen von Kolumnistinnen und Kolumnisten. Manche haben nur ein Thema, sich selbst, und werden dennoch gelesen. Menschen streiten gern. Sie wollen sich erklären.

Texte zu verfassen, ist eine heikle Sache. Wir reagieren empfindlich, wenn kritisiert wird, was wir schriftlich festgehalten haben.

KI-generierte Texte können Debatten anstoßen. Aber wie führt man eine Debatte mit KI-Programmen? Denken und Schreiben gehört zusammen, auch die KI greift nur auf Resultate menschlicher Denk- und Schreibleistungen zurück.

Überließen wir beides vollends der KI, erhielten wir einen Grabgesang auf die Gesellschaft, wie wir sie kennen.

Tatsächlich aber gibt sie noch – die menschliche Gesellschaft. Man stellt es fest, wenn man den Blick vom Smartphone hebt.

Das Durchcrawlen von Daten im Netz berührt auch das Urheberrecht.

Der Schutz geistigen Eigentums – vor allem mit Blick auf generative KI – ist uns wichtig. Kreatives Schaffen muss auch im digitalen Raum seinen Wert behalten und Deutschland wird sich auch im Rahmen der KI-Verordnung dafür einsetzen.

Dabei geht es auch um das berechtigte Interesse von Kreativen, von ihrer Arbeit leben zu können.

Wir haben all dies bei den derzeit laufenden Verhandlungen zur KI-Verordnung natürlich im Blick und machen uns für die Anliegen der Künstler, Kreativen und Medienschaffenden stark. BKM setzt sich innerhalb der Bundesregierung hier insbesondere für hinreichende Transparenzvorgaben ein.

Der Koalitionsvertrag sieht eine Verbesserung der Vergütungssituation für kreative und journalistische Inhalte auch in digitalen Märkten vor.

Wichtig ist mir der Grundsatz: Public Money – Public Code heißt: Nutzungsrechte müssen vergolten und Urheberrechte gewahrt werden, damit die Kreativen von ihrer Arbeit leben können.

Doch ich stehe hier nicht als staatlich bestellte Bedenkenträgerin. In den laufenden Verhandlungen über die KI-Verordnung hat die Europäische Union die Chance die Vorreiterrolle bei der Schaffung eines verantwortungsvollen KI-Rahmen zu übernehmen und wir werden uns dafür engagieren.

Denn nicht KI ist ein Problem, sondern unser intelligenter Umgang mit ihr.

Sie ist tatsächlich viel mehr als nur eine technische Neuerung und kann zu einem gewaltigen Katalysator für Kreativität und Innovation werden. Vladmir Alexeev, den ich am Anfang meiner Rede erwähnte, spricht von neuen Ausdrucksweisen, neuen Arten, Geschichten zu erzählen, neuen Ästhetiken, die in der Kooperation von Menschen und Maschine entstehen.

Und ich bin mir mit ihm sicher: das wird unseren Kunstbegriff erweitern.

KI kann die Generation Smartphone auch in die Gesellschaft zurückholen, gerade weil sie ungeahnte Möglichkeiten bietet, unser Verständnis der Welt zu erweitern und den gesellschaftlichen Diskurs voranzutreiben. Beispiele gibt es zuhauf: Etwa die Darstellenden Kunst 4.0., die BRECHT-MASCHINE des Augsburger Theaters zum 125. Geburtstag Brechts oder das Stück „Fusion“ – eine Kooperation des Ballettchefs der Oper in Leipzig, Mario Schröder mit dem Beatboxer und Musiker Harry Yeff.

Für diese und andere Kulturerlebnisse haben wir den KulturPass eingeführt. Ein Geschenk der Demokratie für alle, die in diesem Jahr 18 Jahre alt werden oder geworden sind: 200 Euro Startkapital für eine Begegnung mit der Kultur, für Bücher, Konzertkarten, Kino, Theater, Oper. Die App ist ein Marktplatz, der die 18-Jährigen und die Kulturanbieter zusammenbringt. Der Start war ein großer Erfolg.

Vor allem aber steht die Kultur- und Kreativwirtschaft für Innovationen, um „Bridging the Gap“ zwischen Angebot und Nachfrage zu forcieren: Meinhoff Ellers von Use the News, die neue Informationsangebote für junge Menschen schaffen, und Victoria Reichelt von FUNK werden uns das auf dem Panel erklären.

Und die Mitglieder unserer Plattform von den privaten und öffentlich-rechtlichen Medien, der Presse, den Buch- und Musikverlagen, Film, Design und Games bis hin zu Interessenvertretungen der Urheberinnen und Urheber stehen für eine imposante Wertschöpfung. Dieser Doppelcharakter, Wirtschafts- und Kulturgut gleichzeitig zu sein, prägt die Branche.

Um das Entwicklungspotenzial der KI muss uns deshalb auch nicht bange sein, so lange unsere Intelligenz ausreicht, es zu beherrschen.

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