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Verleihung des Deutschen Buchhandlungspreises 2022

Thema: Rede

Sonntag, 30. Oktober 2022

Kulturstaatsministerin Roth würdigte das Engagement der Buchhandlungen in der Pandemie und sicherte Unterstützung auch in der Energiekrise zu – insbesondere durch faire Rahmenbedingungen, wie die Buchpreisbindung. „Wir wollen keinen Preiskampf nach unten, wir sind aber offen für gemeinsame Lösungen und neue Ideen der Branche, wenn diese den Buchhandel noch stärker unterstützen“, so Roth im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses.

Als er längst ein weltberühmter Schriftsteller war, hat Mark Twain erwähnt, dass er früher auch einmal Buchhändler gewesen sei. Er habe es aber aufgegeben, weil ihn die Kunden beim Lesen störten. Das ist nicht nur eine witzige Bemerkung. Sie macht zugleich die mindestens zwei Voraussetzungen klar, die der Beruf des Buchhändlers verlangt, von denen Mark Twain offenkundig eine fehlte. Unentbehrlich ist natürlich die Liebe zu Büchern, ohne sie kommt keine Buchhändlerin und kein Buchhändler aus. Ebenso wichtig aber ist die Nähe zur Kundschaft, die Empathie für Leserinnen und Leser. Wer eine Buchhandlung betritt, wird nicht immer eine fachkundige, engagierte und freundliche Beratung benötigen, aber er wird sie für den Fall erwarten, dass er sie benötigt. Das erst macht die gute, die unentbehrliche Buchhändlerin und den guten, unentbehrlichen Buchhändler aus. Und deshalb hat Philippe Djian recht, wenn er sagt: „Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.“

Sie, meine Damen und Herren, sind, im besten Sinne, Kontaktberaterinnen und Kontaktberater. Sie vermitteln den Kontakt zwischen Buch und Leserin und Leser. Sie sind aber auch Brückenbauerinnen und Brückenbauer, Wegbereiterinnen und Wegbereiter, öffnen uns den Weg in die Welt des Buches und „von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste.“ Heinrich Heine hat es so richtig beschrieben. Es ist der Weg in ferne, unbekannte Welten, der Weg zu Träumen und Sehnsüchten, zur Magie der Poesie, in die Lebensgeschichten, die Kämpfe, das Leiden, die Liebe, das Glück von starken Frauen und Männern. Es ist der Weg zum immer wieder verschlungenen skandinavischen Krimi, das sich Fallenlassen in die großen Sagas der Literatur, das Verzweifeln am neuen Sachbuch. Es ist der Weg zum allerersten Kinderbuch – noch heute geschützt im Regal – zum neuesten Comic, zur neuesten Graphic Novel

Und auch bei den schwierigen Wegen helfen Sie uns: „Ein Buch muss eine Axt sein für das gefrorene Meer in uns“. Franz Kafka macht Sie, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, alle zu Eisbrecherinnen und Eisbrecher in kalten Zeiten. 

Wenn diese Wege gelingen auf der Suche nach dem richtigen Buch, dann ist es jedes Mal ein wunderbares kleines Ereignis, bereichernd für die Leserinnen und Leser und beglückend für die Vermittlerinnen und Vermittler, Wegbereiterinnen und Wegbereiter. Und das ist Ihnen, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, im vergangenen Jahr herausragend gelungen. Mit immer auch neuen Formaten haben Sie das Buch in den Mittelpunkt gestellt. Das wollen wir heute mit Ihnen feiern. Und deswegen sind wir hier im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses versammelt, einem der Glanzpunkte der Renaissance in Deutschland und dem allerschönsten Ort, den wir Ihnen in Augsburg bieten können.

Wir feiern Sie heute aber nicht nur als herausragende Buchhändlerinnen und Buchhändler, sondern als wesentliche und unverzichtbare Pflegerinnen und Pfleger unserer Kultur und ihrer ganzen Vielfalt. Und das ist überlebenswichtig in Zeiten, die gequält sind von Krisen, Konflikten und von Krieg. Denn Kultur ist kein „nice to have“, das wir uns nur in guten Zeiten leisten können. Weil Kultur eine Stimme der Demokratie ist, ihre mächtigste Stimme. Sie gibt Identität, aber sie verlangt keine Unterordnung. Sie will Engagement, Auseinandersetzung, auch Streit. Ohne das gibt es keine Kunst, keine Literatur und auch keine Musik. Die Kultur, das sind wir. Wir, so wie wir leben, lieben, arbeiten, empfinden und uns ausdrücken. Deshalb ist das erste Ziel eines Diktators wie Wladimir Putin, der sich erst sein eigenes Land unterworfen hat und nun die Ukraine unterwerfen will, immer die Kultur.

Dieser schreckliche Krieg ist nicht nur ein aggressiver Angriffskrieg gegen Kinder, Frauen und Männer, der Millionen Menschen in die Flucht treibt, es ist nicht nur ein Propagandakrieg, es ist auch ein Krieg gegen die Kultur. Mit ihnen, mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, so will es der Kriegsherr im Kreml, soll die Kultur der Ukraine sterben, Opernhäuser, Museen, Archive, Theater, Bibliotheken. Bücher werden verbrannt mit dem Ziel, die kulturelle Identität der Ukraine auszulöschen. Und deshalb ist Kulturpolitik, die die Freiheit schützt, die Freiheit der Meinung und der Kunst, immer auch Sicherheitspolitik. 

Deswegen sage ich: Wenn wir es ernst meinen mit der Kultur, mit ihrer Freiheit und ihren Werten, die für alle Menschen gelten, und wenn wir diese Freiheit verteidigen wollen, dann unterstützen wir jetzt alle diejenigen, die für diese Werte eintreten. Dann wehren wir uns gegen jede Vereinnahmung und Instrumentalisierung von Kultur, dann widerstehen wir Versuchen von Kulturboykotten und öffnen unser Land für die, die heute auf der Flucht sind vor Kriegstreibern, Autokraten und verbrecherischen Regimen. Und dann stärken, bewahren und beschützen wir bei uns die Kultur als Stimme der Demokratie – so wie Sie es jeden Tag in ihren Buchhandlungen tun. Dafür mein herzlicher Dank!

Sie haben anstrengende Jahre hinter sich, nicht zuletzt die Pandemie war für viele Buchhandlungen eine existenzielle Bedrohung – vor allem in den Ländern, wo sie leider geschlossen bleiben mussten. Aber Sie haben sie – mit neuen Vertriebswegen, Social-Media-Aktivitäten und vielfältigen digitalen Veranstaltungen – also mit viel Mut und Phantasie bewältigt.

Aber: Es gibt noch keinen Grund zur Entwarnung, neue Probleme sind da. Das gilt insbesondere für die enormen Preissteigerungen bei Rohstoffen und Produktionskosten, die sowohl die Verlage als auch den Buchhandel vor neue Herausforderungen stellen. Diesen Herausforderungen stellen Sie sich als Unternehmerinnen und Unternehmer. Wir unterstützen Sie dabei. Auch und besonders über faire Rahmenbedingungen. Der Buchpreis ist dazu das wichtigste Instrument. Er ist sozusagen das ethische Minimum, indem er mit dafür sorgt, dass Ihre Beratungsleistung, Ihre Bücherbegeisterung und Ihre Kundenorientierung gewürdigt werden. Und verhindert, dass Bücher als simple „Produkte“ zum Beispiel durch den Online-Handel unterboten werden. Dafür werden wir auch in Zukunft sorgen. Wir wollen keinen Preiskampf nach unten, wir sind aber offen für gemeinsame Lösungen und neue Ideen der Branche, wenn diese den Buchhandel noch stärker unterstützen.

Ich freue mich nicht nur, Ihre Auszeichnung heute mit Ihnen zusammen in meinem Augsburg feiern zu können. Nicht weniger freut mich selbstverständlich, dass eine der Ausgezeichneten die wunderbare Augsburger Buchhandlung „Am Obstmarkt“ ist, die das Werk des großen Augsburger Dramatikers und Lyrikers Bert Brecht in einem eigenen Raum präsentiert. Auf ihrer Website weist sie auf das jüngste Buch des diesjährigen Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels hin, des ukrainischen Schriftstellers Serhij Zhadan. Es trägt den Titel „Himmel über Charkiw“ und überbringt Nachrichten aus dem Krieg. Darin heißt es: „Selbstverständlich ist das Menschenleben das Wertvollste. Aber was ist der Sinn des Lebens ohne Museen, Theater, Bibliotheken und Buchhandlungen?“ 

Die Antwort auf diese Frage geben Sie, meine Damen und Herren, jeden Tag in ihren Buchhandlungen. Dafür gebührt Ihnen nicht nur Dank, sondern von ganzem Herzen auch die heutige Auszeichnung, der Deutsche Buchhandlungspreis. 

Herzlichen Glückwunsch!

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